E. Eggimann Gerber: Jüdische Kunsthändler und Galeristen

Cover
Titel
Jüdische Kunsthändler und Galeristen. Eine Kulturgeschichte des Schweizer Kunsthandels mit einem Porträt der Galerie Aktuaryus in Zürich, 1924–46


Autor(en)
Eggimann Gerber, Elisabeth
Reihe
Jüdische Moderne 21
Erschienen
Köln 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 80,00 / Open Access
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Barbara Häne, Jüdisches Museum der Schweiz, Basel

Jüdische Kunsthändler und ihre Galerien prägten am Ausgang des 19. Jahrhunderts die Schweizer Kunstszene mit. Ein bedeutender Kunsthändler war Toni Aktuaryus, auf dessen Geschäftstätigkeiten Elisabeth Eggimann Gerber in ihrem Buch ein besonderes Augenmerk richtet. Die Erforschung des Kunsthandels in der Schweiz zwischen 1933 und 1945 berührt unweigerlich das Thema der Provenienz: Die Rolle der Schweiz als Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg wurde durch die Untersuchungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg in den 1990er-Jahren Gegenstand einer öffentlichen Debatte.1 Die Nachlässe von Cornelius Gurlitt und Emil Bührle, die 2014 und 2021 an renommierte Kunsthäuser in der Schweiz vermacht beziehungsweise ausgeliehen wurden, sorgten für eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunsthändlern und -sammlern, deren Sammlungen sich aus Raub- und Fluchtkunst zusammensetzen.2 Die Untersuchung von Elisabeth Eggimann Gerber knüpft daran an, indem sie sich der Kulturgeschichte des Kunsthandels widmet und sich auf das Wirken jüdischer Kunsthändler und Galeristen in der Schweiz fokussiert.

Eggimann Gerbers Buch ist in drei Teile gegliedert: In Teil I werden theoretische Überlegungen und historische Hintergründe dargelegt, der zweite Teil umfasst Kurzporträts von jüdischen Kunsthändlern und Galeristen, der letzte und ausführlichste Teil gilt der Beschreibung des Lebens und Wirkens von Toni Aktuaryus in Zürich.

Reflektiert wird vor dem Hintergrund des Begriffs «jüdischer Kunsthändler» die Frage, welche Faktoren für diese ausgeprägt städtisch-bildungsbürgerlichen Personen identitätsstiftend waren. Eggimann Gerber legt dar, dass alle porträtierten Kunsthändler als Zuwanderer in die Städte «ein Stück jüdische Migrationsgeschichte» (S. 31) erzählen, dass es aber ebenso viele individuelle Faktoren gibt, die sie ausmachten, so zum Beispiel der Umgang mit jüdischem Glauben und jüdischen Traditionen. Viele jüdische Kunsthändler hatten weitverzweigte Familien, oft waren sie mehrsprachig aufgewachsen und verfügten über ein hohes Mass an polykulturellem Bewusstsein und interkultureller Sensibilität. Daher trifft das Konzept der Multikollektivität auf jüdische Kunsthändler besonders gut zu. Die Frage, woher die Affinität vieler Jüdinnen und Juden zu Kunst und Kultur in der Moderne kommt, wird nicht abschliessend beantwortet. Eggimann Gerber stellt dazu verschiedene Erklärungsansätze vor, etwa eine besondere Hinwendung des Judentums zu humanistischen Werten oder den jüdischen Kosmopolitismus, die jedoch in der Wissenschaft keinen Konsens finden. Weiter werden im ersten Teil des Buches Entwicklungen in der Schweizer Kunstszene dargelegt, vor deren Hintergründen jüdische Kunsthändler Werke erwarben und weiterverkauften und Ausstellungen organisierten. Um die Jahrhundertwende waren auf dem Schweizer Kunstmarkt nationale Heimatkunst, deutsche Malerei aber auch impressionistische Werke französischer Herkunft gefragt.

Im zweiten Teil porträtiert Eggimann Gerber jüdische Kunsthändler und Galeristen, die «persönliche und geschäftliche Bezüge zur Entwicklung des Kunsthandels in der Schweiz zwischen 1910 und 1950 aufweisen» (S. 28), darunter Paul und Bruno Cassirer in Berlin, Alfred Flechtheim in Düsseldorf und Berlin, Heinrich Thannhauser in München, Isaac Feivel Aktuaryus in Wiesbaden, Ludwig Schames in Frankfurt am Main, Max Moos in Genf, Max Bollag in Lausanne und Zürich, Siegfried Rosengart in Luzern, Fritz Nathan in München, St. Gallen und Zürich und Walter Feilchenfeldt in Ascona und Zürich.

Die beiden Weltkriege hatten einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Kunstmarktes in Europa. Für die jüdischen Galeristen aus Deutschland bedeutete der Nationalsozialismus in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Zum einen durch die Brandmarkung moderner Kunstströmungen – hier nennt Eggimann Gerber insbesondere den Expressionismus (S. 154) – als «entartete» Kunst, zum andern durch die nationalsozialistische Verfolgung, die den Geschäftstätigkeiten von jüdischen Galeristen in Deutschland ein Ende setzte. Nur Wenige konnten ihre Galerien ins Ausland verlegen. So unterlag beispielsweise Walter Feilchenfeldt als sogenannter Emigrant in der Schweiz einem Arbeitsverbot, das erst 1946 aufgehoben wurde.

Toni Aktuaryus (geboren 1893 in Frankfurt am Main, gestorben 1946 in Zürich), dem der dritte Teil des Buches gewidmet ist, hielt sich seit 1917 in Zürich auf. 1924 eröffnete er seine Galerie. Aktuaryus war darum bemüht, avantgardistische Strömungen in die Schweizer Kunstszene zu integrieren und es gelang ihm, sich mit renommierten Künstlern wie Giovanni Giacometti, Cuno Amiet, Ernst Morgenthaler und Ernst Ludwig Kirchner zu vernetzen. Gleichzeitig stellte er bewusst auch junge Künstler wie Gotthard Schuh und Alberto Giacometti in seiner Galerie aus. Eggimann Gerber legt chronologisch dar, mit welchen Künstlern Aktuaryus zusammengearbeitet hat. Exemplarisch zeigt sie an seiner Förderung der Künstlerin Käthe Kollwitz, dass Aktuaryus passiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Kunstdiktat leistete, indem er ihr im Jahr 1937 noch eine Ausstellung widmete. Sich mit den von den Nationalsozialisten diffamierten Künstlerinnen und Künstlern zu solidarisieren, brauchte auch in der Schweiz Mut. Das galt sowohl für die Galeristen, die expressionistische Werke in ihr Repertoire aufnahmen, als auch für die Kundschaft, die solche Bilder erwarb.

Umfassend dargestellt wird Toni Aktuaryus’ Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka. Die «geschäftliche Symbiose» (S. 247) zwischen den Männern wird vor allem anhand der Herausgabe der Monatszeitschrift «Galerie und Sammler», die von Kunstsammlerinnen und -sammlern begeistert aufgenommen wurde, dargelegt. Aktuaryus und Jedlicka arbeiteten zwischen 1930 und 1945 gemeinsam als Kunstvermittler.

Wie Eggimann Gerber selbst betont, bleiben die Fragen, ob sich die von ihr porträtierten Kunsthändler als «jüdische» Kunsthändler empfanden, und was sie von ihren christlichen Pendants unterschied, ungeklärt (S. 15). Da die Autorin keine Stellung zur Frage bezieht, ob und inwiefern Jüdinnen und Juden eine besondere Affinität zum Kunsthandel zeigten, wird ihre Annahme, dass es eine Verknüpfung zwischen der Berufswahl und jüdischer Identität gibt, weder widerlegt noch bestätigt. Ihre Einschätzung als Expertin wäre wünschenswert und relevant gewesen, zumal sie den untersuchten Personenkreis zwar aufgrund seiner jüdischen Identität festlegte, aber nicht begründet, weshalb dieses Kriterium ausschlaggebend ist. Durch die Auseinandersetzung mit Toni Aktuaryus Biografie – er war aktives Mitglied der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG) und Mitbegründer von Omanut, einem Verein, der in der Schweiz jüdische Kunst und Kultur fördert – entsteht jedenfalls der Eindruck, dass zumindest bei Aktuaryus eine starke Verknüpfung zwischen jüdischer Identität und Kunsthandel bestand. Gerade dank der Identifikation mit seinen jüdischen Wurzeln bewegte er sich sowohl in jüdischen als auch in nicht-jüdischen Kreisen mit einer grossen Selbstverständlichkeit. Für Omanut stellte er 1941 innerhalb eines Jahres eine Ausstellung jüdischer Kunst- und Kulturgegenstände zusammen.

Durch die Diskretion, die dem Kunsthandel inhärent ist, erweist sich die Forschung dazu als schwierig. Eggimann Gerber löst dieses Problem, indem sie das Quellenmaterial zur Galerie Aktuaryus umfassend vorstellt und auf bestehende Lücken hinweist. Neben den Geschäftsunterlagen untersuchte sie Nachlässe von Künstlern auf Briefwechsel mit Aktuaryus sowie Nachlässe von Sammlerinnen und Sammlern und kontaktierte verschiedene Museen, um Zugang zu Quellen zur «Galerie Aktuaryus» zu erhalten. Dennoch bleibt die Quellenlage «schmal und einseitig» (S. 186). Die Autorin weist auf die Schwierigkeiten hin, vor denen die Provenienzforschung auch beim Kunsthändler Aktuaryus steht, denn Lager- und Geschäftsbücher aus den Kriegsjahren zu seiner Galerie fehlen gänzlich. Ob und in welchem Mass die Galerie mit Fluchtgut und Raubkunst handelte, bleibt somit weitgehend ungeklärt.

Eggimann Gerber analysiert in ihrem Buch die Vermittlung eines gefälschten Werks von Paul Gauguin aus dem Nachlass von Max Emden durch Aktuaryus an den Waffenfabrikanten Emil Bührle kritisch. Ab 1936 erwarb Emil Bührle vor allem Werke französischer Künstler bei Aktuaryus und wurde, so Eggimann Gerber, «zu einem regelrechten Großkunden der Galerie» (S. 278). Wie die Sammlung dieses höchstumstrittenen Kunstsammlers zustande kam, wurde durch die Untersuchungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg und im Rahmen der Debatten zur Leihgabe und Präsentation von Bührles Kunstsammlung im Kunsthaus Zürich eingehend dargelegt. Emil Bührle geriet weiter in den Fokus der Öffentlichkeit, als die Zeitschrift «Der Schweizerische Beobachter» aufdeckte, dass in einem seiner Betriebe Zwangsarbeit geleistet wurde.3 Durch den Verkauf des gefälschten Bildes, an dessen Echtheit bereits vor dem Verkauf Zweifel geäussert worden waren, hatte Aktuaryus seinen guten Namen aufs Spiel gesetzt. Der Vorfall zog ein jahreslanges Verfahren nach sich, das erst ein Jahr nach dem Ableben von Toni Aktuaryus 1947 ein Ende fand.

Auch wenn der Kunsthandel an der Jahrhundertwende und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine stark männlich geprägte Domäne war, ist es Eggimann Gerber gelungen, auch Frauen als Kunsthändlerinnen zu porträtieren, so z.B. Suzanne Bollag und Marianne Feilchenfeldt. Mit ihrem Buch trägt sie ausserdem dazu bei, jüdischen Kunsthändlern eine Plattform zu geben, die aufgrund des Unterbruchs ihrer Berufstätigkeiten durch die nationalsozialistische Verfolgung beinahe in Vergessenheit geraten sind.

Anmerkungen:
1 Esther Tisa Francini / Anja Heuß / Georg Kreis, Fluchtgut-Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933–1945 und die Frage der Restitution, Zürich 2001.
2 U.a.: Oliver Meier / Michael Feller / Stefanie Christ, Der Gurlitt-Komplex. Bern und die Raubkunst, Zürich 2017; Thomas Buomberger / Guido Magnaguagno, Schwarzbuch Bührle, Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?, Zürich 2015; Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus. Die Entstehung der Sammlung Sammlung Emil Bührle im historischen Kontext, Forschungsbericht der UZH (Prof. Dr. M. Leimgruber), November 2020; Erich Keller, Das kontaminierte Museum. Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle, Zürich 2021.
3 Yves Demuth, Zwangsarbeit für Emil Bührle, in: Schweizer Beobachter, 26.08.2021, https://www.beobachter.ch/gesellschaft/zwangsarbeit-fur-buhrle-ein-dunkles-kapitel-der-schweizer-geschichte-347060 (09.08.2023).

Redaktion
Veröffentlicht am
19.09.2023
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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